Pokhara

 

Der Flug mit der kleinen Jetstream ging eine Stunde verspätet von Kathmandu ab, für nepalesische Verhältnisse also pünktlich. Je kleiner die Maschine, desto eher der Glaube daran, dass sie fliegen kann aber desto größer auch die Probleme mit den Turbulenzen. Der Flug war jedoch ruhig und in Flugrichtung rechts hatten wir ein großartiges Panorama auf den Himalaya. Da unser Guide, Mukunda, direkt hinter mir saß, habe ich die Namen der Bergriesen auch gleich erklärt bekommen. Manaslu und Langtang-Gruppe sind mir in Erinnerung geblieben. Und ich habe auch gleich eruiert, wo man denn in Nepal am besten Trekken kann. Wer sich das für die nähere Zukunft vornimmt, sollte die Langtang-Gruppe oder Mustang wählen, wobei Mustang nicht durch seine Vegetation, sondern durch die Erosion beeindruckt. Nun ja, wir landeten bei strahlendem Sonnenschein im subtropischen Pokhara.

Die Stadt ist ein kleiner Schock: irgendetwas zwischen Hexentanzplatz in Thale und Kühlungsborn. Hier herrscht der Kommerz, das muss man ausblenden. Der Blick aus der Wärme auf die schneebedeckten Bergriesen entschädigte jedoch für einiges. Unsere Lodge lag auf der anderen Seeseite und war nur durch eine handbetriebene Fähre zu erreichen. Vom Trubel in die Stille, die Lodge hat einige Mitreisende an Bali erinnert. Ich fand sie einfach schön gelegen, sehr ruhig, auch wenn am Gebäude neben mir gebaut wurde. Mit Nepal hat auch dieses Hotel wenig zu tun, jedoch ist auch Pokhara nicht Nepal. Hier ist der Massentourismus mit all seinen Auswüchsen angekommen. Wer das mag und sich an vorbeiflanierenden Touristen aller Herren Länder bei einem Kaffee erfreuen kann, ist hier richtig. Mir war die Stadt auf zu viel Massentourismus ausgerichtet und ich floh in unsere ruhige Lodge auf einen schönen Balkon um etwas Ruhe zu bekommen.

Die nächste Woche verbringe ich nun mit Trekking und bin (endlich) von der Außenwelt abgeschnitten und gespannt auf neue Eindrücke.

Sanctuary Lodge

 

Das Trekking begann mit 35 km Fahrt von Pokhara nach Lumle. Das bedeutete 90 Minuten Durchschaukeln mit immer besseren Blicken auf das Annapurna-Massiv und den Fischschwanz, der knapp 7000 m Höhe aufweist. Schließlich hielt irgendwo am Straßenrand dann doch relativ unvermittelt unser Bus und es ging los. 7 junge Nepali bewaffneten sich mit unserem Hauptgepäck, sprich 10 kg, wobei 1 Nepali für 2 deutsche Touristen trug, was 20 kg total bedeutete. Mit einem Gleichmut (er)trugen die jungen Männer diese Last und warteten bei jeder Pause, denn natürlich hatten sie uns trotz dieser Massen ständig überholt, mit einem Lächeln auf uns. Ich gehe davon aus, dass sie uns anlachten, was in der Natur der Nepali läge. Die Strecke war subtropisch und eher wenig anspruchsvoll. 9 km in 3 Stunden, wobei ca. 150 m im Anstieg und 300 m im Abstieg zu bewältigen waren. Wir kamen schließlich an der Sanctuary-Lodge an, eine Oase des inneren Friedens. Mit Blick auf das Annapurna-Massiv in subtropischer Umgebung genossen wir die Lage, das gute Essen und den herzlichen Empfang.

Nach einem vegetarischen Mittagessen mit exzellentem und sehr schmackhaftem Gemüse und nepalischer Pizza gab es 2 h später schon Tee oder Kaffee und Kekse, von 6 bis 7, nach Einbruch der Dunkelheit, eine happy-hour, bei der ich den nepalischen Rum probierte, der reich an Aromen war und wie ich gerade merke, auch meiner Orthographie nicht zuträglich war, ich habe ziemlich viele Fehler zu korrigieren. Abends gab es nochmal ein warmes Menü, wer viel läuft, muss viel Essen. Die Logde ist nicht beheizt, jedoch gibt es im Aufenthaltsraum einen Kamin, an dem wir erst zur happy-hour saßen und schließlich, nachdem ein großer Teil der Gruppe schon auf die Zimmer gegangen war, die übrigens großartig und trotzdem urig eingerichtet waren, auch nach dem Abendessen dort noch im Gespräch mit Mukunda, unserem Reiseleiter verweilten. Wir haben einiges über Mukunda erfahren, aber auch über Nepal und es gab weitere Tipps für weitere Touren. Travelsoulmate, nimm dir 2013 nix vor!!!

Dieses Komfort-Trekking-Konzept ist zum einen etwas dekadent, zum anderen aber richtig genial. Ohne sportliche Höchstleistungen abrufen zu müssen, erwandert man die Schönheiten dieses Landes, dass trotz seiner Armut voller Reize steckt. Und als ich gerade ins Bett gefallen bin und die Wärmflasche, die mir gute Geister vor 2 h unter die Bettdecke gesteckt haben, genießen durfte, wurde mir bewusst, wie gut es mir gerade geht. Landschaftlich war der Tag ein Höhepunkt: bei 20°C mit Blick auf das Annapurna-Massiv hatten wir eine tolle Wanderung, es gab gute Gespräche in der Gruppe, das Essen hat geschmeckt und ich habe mehr Sonne getankt, als ich jemals für möglich gehalten habe. Morgen liegen 1000 Höhenmeter im Aufstieg vor mir, das wird eine Herausforderung! …

 

Gandruk

 

Halb neun morgens gings los, erst recht eben, nach einer Stunde Marsch begannen die Treppen. Die waren schon anstrengend, aber für jeden Durchschnittseuropäer, der nicht als klassische Couch-potatoe bezeichnet werden muss, machbar. Unterwegs ging es durch verschiedene Dörfer, Menschen droschen Hirse, teilweise von Hand, teilweise mir 2 Kühen, die eine Einkreuzung der Yaks sind, die allerdings nicht unter 3000 Meter leben können, weil es da für sie einfach zu warm ist. Viele Kinder spielten am Wegesrand, Mulikarawanen kamen uns entgegen, crazy japanese people, die ganz in schwarz gekleidet waren und einen weißen Sonnenschirm trugen. Wer sich für das Annapurna-Gebiet entscheidet, muss wissen, dass es hier Treppensteigen heißt. Das ist eine ganz schöne Schinderei, aber wenn man es langsam angeht, seinen eigenen Schritt findet und sich auch mal von der Gruppe lösen kann, geht das gut. Rund 5 Stunden dauerte der Anstieg, für meinen Geschmack hätten wir ruhig morgens eine Stunde eher aufbrechen können, dann wäre es nicht so heiß gewesen. Gut 20°C stauten sich am Hang zu Temperaturen, die ich als wesentlich wärmer empfand. Aber der eine oder die andere Mitreisende findet halt Urlaub nur gut, wenn man auch (einigermaßen) lang schlafen kann. Egal, ich kam gut voran, nur der letzte Kilometer vor unserer schönen Lodge war eine Schinderei, aber das ging allen in der Gruppe so. Von meinem Zimmer habe ich einen fantastischen Blick auf Annapurna-Süd. Hiunchuli und Machapuchare, dass keiner zu den 8000ern gehört, stört mich gar nicht. Das Annapurna-Massiv wird von der anderen Seite, also der, die uns abgewandt ist, bestiegen, sodass wir auf beeindruckende senkrechte Felswände schauen, dafür aber keine Bergsteiger beobachten können.

Ein wahrer Luxus war der Empfang in der Lodge. Wie gestern gab es eine heiße Suppe und gebratenen Reis mit Gemüse, wir waren uns alle einig: selten haben wir so gut gegessen. Und Reue wegen der vielen Kalorien braucht auch niemand zu haben, die haben wir ja beim beschwerlichen Bergauf längst alle rausgeschwitzt.

Die Lodge ist wieder sehr schön eingerichtet und passt auch gut in die Region: ein Haus wurde um 2 Seitentrakte erweitert, in einem liegen unsere Zimmer. Einfach sind sie und ich kann gar nicht genug betonen, wie toll ich es finde, dass es hier kein TV, kein WIFI und keinen Handyempfang gibt. 1 Woche Ruhe und Abgeschiedenheit und zu sich selbst kommen. Nach dem heutigen Aufstieg habe ich entschieden, dass ich mir fortan wohl Wanderreisen der mittleren Kategorie antun kann, was bedeutet, dass Südamerika mit ganz neuen Zielen ins Blickfeld rückt. Ist das nicht Luxus, wenn diese Erkenntnis in Nepal kommt?

 

Little Paradise

 

Heute war offiziell freier Tag, kein Programm und ausschlafen. Ich entschied mich, wie viele Mitreisende auch, dass ich mich auch daheim erholen kann. Halb 6 weckte mich Hundegebell, also konnte ich um 6, noch vorm Sonnenaufgang aus meinem Bett kriechen und erste Fotos machen. Dann gab es draußen vor der Lodge Frühstück, das war großartig. Auch wenn einige Mitreisende feststellten, dass sie viel lieber dies oder jenes zum Frühstück gehabt hätten. Naja, diese Mitreisende gibt’s immer, sie hätten sich ja ihr Croissant mit auf diese Höhe schleppen können.

Um 9 ging es auf jeden Fall los, Ziel des heutigen Tages war die Little Paradise Lodge, wobei in diesem Fall nomen omen est. Abseits der Hauptroute empfand nicht nur ich die Wanderung als ein Highlight der Reise bis jetzt, wir gingen neben Kühen, trafen auf die hiesige Bevölkerung und mühten uns wieder viele Höhenmeter bergauf und auf dem Rückweg bergab. Für manche Bilder ist viel Schweiss geflossen. Das Little Paradise bestand aus einer (sehr einfachen) Lodge, einem Wohnhaus, vielen Tieren und jeder Menge Ruhe und einem wunderbaren Rundblick auf das Annapurna-Massiv. Der Minztee schmeckte ganz wunderbar, immerhin hatten wir wieder 500 Höhenmeter in den Beinen. Jetzt merke ich ein paar meiner Muskeln, die ich schon ziemlich lang nicht mehr kannte, aber es war eine sehr schöne Wanderung abseits der Touristenrouten.

 

Gruppenreisen

 

Auf meiner ersten Gruppenreise hat mir Angelika mal erzählt, dass diese IMMER nach dem gleichen Schema ablaufen, unabhängig von der Länge der Reise. Im ersten Drittel haben sich alle lieb, im 2. Drittel geht die Lästerei los und im letzten Drittel freut sich irgendwie jeder darauf, dass das Zweckbündnis auf Zeit dann irgendwann auch mal wieder vorbei ist. Das stimmt wohl. Diese Gruppe ist jedoch homogen, obwohl wir im 2. Drittel der Reise angekommen sind, gibt es nichts zu lästern. Zumindest nicht offiziell. Macken stellen sich schon heraus. So schafft es ein Ehepaar mein Lästergen zumindest hier anspringen zu lassen. Nicht nur, dass die beiden ihr Tempo gehen, dass IMMER entgegen dem der Gruppe ist, dass sie Pause machen, wenn der Rest läuft, nein, heute saß ich neben den beiden beim Mittagstisch und konnte gleich die Evaluation des Mittagessens mit erleben. Das Gemüse war „eklig“ und „zerkocht“, so „eklig“ wie heute war das Essen die ganze Reise noch nicht. „Er“ meinte zum Kellner, dass er die Nahrungsaufnahme beendet habe und fügte dazu, dass er aber noch hungrig sei. Fremdschämen, fällt mir dazu nur ein, in einem Land, in dem es immer noch Hungernöte in jedem Frühjahr gibt (ganz im Westen Nepals!) ist es mehr als unangebracht, ein Steak in einer an sich schon viel zu luxuriösen Lodge ordern zu wollen.

Der Tag war doch recht anstrengend, die vorgestern erklommenen Höhenmeter galt es heute wieder abzusteigen, in Worten: eintausend Meter ging es bergab, was im Annapurna-Gebiet Treppensteigen bedeutet. Das ging sowohl auf die Knie, wobei ich nichts merkte, aber auch auf die Oberschenkel. Aber es war genügend Zeit und v.a. Konzentration vorhanden, dann alle wichtigen Fotos hatten wir ja bereits vorgestern gemacht. So habe ich heute auch „nur“ 35 Fotos in mein Album überspielt, lächerlich wenig. Aber ich dreh ja jetzt auch den Serienbildmodus ab, nachdem im letzten Urlaub viel zu viele Bilder durch den entstanden.

Eine Stunde Sonne tanken stand am Nachmittag auf dem Programm. Beim Duschen habe ich festgestellt, dass ich ganz gut Farbe bekommen habe in den letzten Tagen. Nebenbei lese ich immer noch in meinem Begleiter auf dieser Reise: Rot – Menschen in Kathmandu von Milda Drüke, das gute Einsichten in das Leben einer hinduistischen Familie gibt. Zeitgeschichte aus dem Jahr 2008.

 

Highlight?

 

In einer Woche werde ich im Flieger nach Berlin sitzen. Da darf die Frage nach dem Highlight der Reise gestellt werden. Der heutige Tag ist zumindest ein Highlight. Obwohl einige Mitreisende schon dachten, dass nach der Höhe von Gandruk nichts mehr kommen könnte, das diese Eindrücke toppt, ist es doch gelungen. Die Gurung-Lodge Majhgaun, auf der gegenüberliegenden Talseite. Der Aufstieg war eine ziemliche Quälerei. 500 Höhenmeter über Treppen, also nahezu senkrecht und das bei zwar viel angenehmeren Temperaturen als am Dienstag, da stiegen wir ja 1000 Meter in brütender Hitze am Nordhang auf, dafür war heute die Luftfeuchtigkeit im subtropischen Bergwald die Herausforderung. Die nahmen aber alle in der Gruppe an und wieder waren wir vor der errechneten Zeit am Ziel. Heute bin ich ziemlich langsam aber stetig aufgestiegen, die erfahreneren Mitreisenden machen doch noch einen passablen Wanderer aus mir. Zur Lodge gibt es wenig zu sagen außer: perfekt! Fantastische Lage, wahnsinniger Blick (auf Annapurna-Süd und Hiunchuli), gutes Essen (der Name der frittierten Teigtaschen, die es gefüllt mit Huhn oder rein vegetarisch gab, fällt mir grad nicht ein, ich werde Mukunda nachher nochmal fragen) und am Nachmittag ein sehr schöner Spaziergang zu einem fast verlassenen Gurung-Dorf. Wir konnten ein typisches Wohnhaus dieser Gegend auch von innen besichtigen. Die obere Etage war zu einem kleinen Museum ausgebaut. Und die (Ein)Blicke in das Dorfleben sind/waren sehr pittoresk. Auch in Nepal setzt eine Landflucht ein, weil sich die Bewohner dieser abgelegenen Gebiete mehr Komfort und bessere Lebensbedingungen in Pokhara oder Kathmandu versprechen.

Nach und nach lernt man die Gruppe dann nochmal anders kennen. So habe ich festgestellt, dass fast alle Teilnehmer fest in Leica- oder Panasonic-Hand sind, was die Fotoausstattung angeht. Obwohl ich ja nun kein Oberguru bin, was digitale Fotografie angeht, lehre ich die Mitreisenden, was ihre Kameras alles so können, quasi als Einäugiger unter den Blinden. Und das ist ne ganze Menge. Immerhin können die meisten jetzt Belichtungsserien machen, ganz normale Serienbilder hatten wir schon am Anfang der Woche. Bis zur manuellen Belichtung werden wir wohl aber bei dem Komfort-Tempo nicht kommen. Ist mir auch recht, schließlich hab ich ja Urlaub!

Und so sitze ich vor einem kleinen feinen Bungalow, schau auf den seit Tagen das erste Mal mit Wolken verhangenen Annapurna bzw. in die Richtung, wo ich ihn vermute, trinke einen mit Kardamom und Zimt gewürzten nepalischen Tee, genieße diese unglaubliche Ruhe, die mir schon in den letzten Tagen aufgefallen ist und frage mich, wie die Reise wohl verlaufen wäre, wenn wir nicht so ein fantastisches Wetter gehabt hätten. Dank Höhensonne bin ich braungebrannt, zumindest an den Händen und im Gesicht und das Zirpen der Zikaden, das hier das einzige Geräusch neben dem Klackern meiner Tastatur ist, sorgt für Tiefenentspannung. Morgen ist schon der letzte Trekking-Tag, der nochmal ein wenig länger wird.

 

Deutsche Gründlichkeit

 

Heute war die für mich anstrengendste Wanderung der Woche. Von der sehr schönen Gurung-Lodge sind wir nach Dhampus gelaufen. Es war eine recht lange Tour aber die Herausforderung lag eher in der im ersten Teil zu überwindenden Höhe. Es ging wie am Vortrag über Treppen nahezu senkrecht bergan. Die Landschaft hat uns alle ziemlich beeindruckt. Am Südhang der Gebirge kommt viel Wasser durch die reichlichen Regenfälle an und so sind wir durch dschungelartigen Regenwald aufgestiegen und nicht, wie viele vermutet haben, durch Geröll und über Steine. Ebenso entspannend war die Einsamkeit, als wir das Dorf unserer Lodge verließen, begegnete uns über eine längere Zeit kein Mensch. Nach einer gemütlichen Mittagsrast mit heißem Pfefferminztee war der Abstieg sehr gemächlich.

Unsere heutige Lodge kann mit der Lage und der Ausstattung nicht ganz mit denen der letzten Tage mithalten, aber für Nepal leben wir immer noch im Luxus. Heute ist Samstag, dass ist der nepalesische Sonntag und wir werden gerade aus der Nachbarschaft beschallt. Das trägt nicht wirklich zur Begeisterung der Gruppe bei, wenn Teens Bollywood-Musik aus dem Ghettoblaster hören und ca. 90 dB auch hier in der Lodge noch ankommen. Aber gut, wir sind zu Besuch in diesem Land und es wird spätestens mit Einbruch der Dunkelheit aufhören, denke ich mir. Stromabschaltung gibt es hier in Nepal übrigens häufig, ich ertappe mich, dass ich mich grad dabei erwische, mir eine zu wünschen.

Nach dem Mittagessen dann der worst-case deutscher Gründlichkeit. Morgen geht das Trekking zu Ende und es ging ans Verteilen der Trinkgelder für die Träger. Zu denen muss ich sagen, dass es sich durchweg um Jugendliche zwischen 19 und 21 Jahren handelt, die bergauf und bergab ohne zu murren leichtfüßig die fünffache Masse Gepäck getragen haben als ich. Allein für diese Leistung bemesse ich ein Trinkgeld eher großzügig, doch die Jungs waren richtig nett, jeder auf seine Art. Mein Träger war eher zurückhaltend, weil er kaum englisch spricht, mit anderen habe ich mich auf den anstrengenden Aufstiegen gut unterhalten können. Und dann dividieren doch einige in der Gruppe auseinander, warum statt den mit deutscher Gründlichkeit errechneten 1200 Rupien, die 12 Euro entsprechen, nun auf einmal 1500 Rupien eingesammelt werden. Nochmal in Worten: es geht um drei Euro. Mein Verständnisgen, dass schon auf Grund meines Sternzeichens oft überexprimiert ist, war an dieser Stelle auf einmal blockiert. So verließ ich nach Abgabe des vorgeschriebenen Trinkgelds, was ich im übrigen ziemlich dumm finde, fluchtartig die Mittagstafel, um nicht irgendeinen Kommentar von mir zu geben, den ich womöglich später bereut hätte.

Der eigentliche Übeltäter ist jedoch der Reiseveranstalter. Würde man die Träger gleich richtig bezahlen, wären sie nicht auf die Trinkgelder, die keine sind, angewiesen. Bei einem Reisepreis der weit über 1000 € lag, machen es 20 € mehr auch nicht aus. Ich beschließe, dass in den Evaluationsbogen zu schreiben.

Gerade blastert mir Lady Gaga ins Ohr, wie halten das die hier lebenden Nepali nur aus, wenn das wirklich jeden Samstag so geht? Der Himmel hat sich gerade zugezogen, wenn es keinen Stromausfall gibt würde vielleicht ein Platzregen helfen? …

 

Abschied

 

Gesternabend war es dann soweit. Die Abschiedsfeier von den Trägern. Da saßen 7 Jungs um die 20 einer Gruppe von 14 Deutschen gegenüber und wir schauten in erwartungsvolle Augen. Die Rede „durfte“ wieder ich übernehmen, hab ich aber auch gern gemacht. Nach der Übergabe der Trinkgelder ging es zum gemütlichen Teil über. 2 Jungs nahmen sich Trommeln und dann wurde gesungen und getanzt. Gut, dass ich ein paar Rum genommen hatte, da fiel mir das Tanzen nicht so schwer. Nachdem wir nepalesische Lieder gehört hatten, bestanden die Jungs drauf, auch was volkstümliches aus Deutschland zu hören. Wir machten ihnen die „Freude“. Heute vormittag ging es dann nochmal 2 Stunden steil bergab über Treppen, das kannten wir ja nicht anders. Einige der Jungs sprachen ein gutes Englisch und am letzten Tag fielen auch ein wenig die Berührungsängste. Obwohl ich mehrmals darauf hinwies, dass Matt genügt und ein Sir überflüssig ist, gab es natürlich immer als Antwort: Thank you, Sir oder Welcome, Sir. Ein Träger hat sich ganz wunderbar um Birgit und Melitta gekümmert, die beiden alleinreisenden Frauen in der Gruppe, die ihre Männer daheim gelassen haben. Mit ihm bin ich in den letzten Tagen viel gegangen, sein Name heißt „Krieger“ in der deutschen Übersetzung und anfangs erschien er auch etwas kriegerisch. Doch hinter der Fassade steckte ein sehr gescheiter und warmherziger Kerl. Er erzählte Melitta und mir beim heutigen Abstieg, dass er ab nächster Woche in Pokhara mit dem Studium beginnt und sein größter Wunsch der ist, nach dem Studium zurück in sein Dorf zu gehen, wo nur 25% gebildet sind und 75% keine Bildung haben und dort als Lehrer tätig zu sein. Und diese Erkenntnis mit 19, wo es jeden in die Stadt ziehen würde?! Sein Freund und Kollege, der uns alle mit seiner Schönheit beeindruckt hat, will Sozialarbeiter werden. Er ist Waise und will die Missstände, die er erlebt (hat) ändern. Leider sprach er weniger gut Englisch, sodass ein Austausch nur begrenzt möglich war. Gefragt nach meinem Beruf versuche ich „Krieger“ zu erzählen, was ein Apotheker in Deutschland macht. Von chemischer Medizin hat er gehört, aber die gibt es in Nepal nicht und keiner scheint sie zu vermissen. Er kann sich nur schwer vorstellen, was so ein Apotheker macht und noch schwerer fällt ihm die Vorstellung vom Meer, denn wie soll ich ihm sonst die Lage Mecklenburg-Vorpommerns erklären, wo ich wohne. Und dann kommt doch noch so was wie Ironie auf. Ein alter Mann kommt fast am Schluss auf Melitta und mich zu und fragt uns, ob wir keine Medikamente gegen die Schmerzen in seinem Fuß dabei hätten. Er will zu seinem Enkel und muss den ganzen Weg, den wir in gut einer Stunde abgestiegen sind, noch aufsteigen. Ich bin bewaffnet bis an die Zähne mit Ibuprofen und Methamizol aber das ist schon viel weiter unten am Berg mit Arjan, meinem Träger. So bleibt mir nichts weiter als im zu sagen, er soll die nächsten fragen, Birgit oder Katharina haben mit Sicherheit etwas dabei. Und trotzdem der Abschied allen schwer fiel, sind die jungen Nepali glücklich, das habe ich in 6 Tagen und diversen Gesprächen mit ihnen rausbekommen. Und auch ich bin glücklich, wieder in Pokhara zu sein, die erste wirklich heiße Dusche seit Tagen, kein Geruch von Schweiß oder Microfaser-Klamotten mehr. Und mein Gepäck ist ganz leicht, wie in Kuba. All meine Wandersachen habe ich den Jungs in eine Tüte gepackt, ich kann mir neue in Deutschland kaufen.